Die Geschichte der norwegischen Sprache ist eine faszinierende Reise von den alten nordischen Dialekten bis zu den modernen Sprachformen Bokmål und Nynorsk. Sie spiegelt die kulturellen und politischen Veränderungen wider, die Norwegen im Laufe der Jahrhunderte durchlaufen hat.
Die Ursprünge: Altnordisch
Im frühen Mittelalter, etwa im 8. bis 11. Jahrhundert, sprach man in Norwegen Altnordisch, das auch als Altwestnordisch bekannt ist. Diese Sprache war nicht nur in Norwegen verbreitet, sondern auch auf den Färöern, Island, und Teilen von Schottland sowie Irland. Altnordisch war eine germanische Sprache, die eng mit Altenglisch, Altfriesisch und Althochdeutsch verwandt ist.
Die Wikingerzeit (793-1066) spielte eine bedeutende Rolle in der Verbreitung des Altnordischen. Die Wikinger, die sowohl Krieger als auch Händler waren, verbreiteten ihre Sprache und Kultur in den von ihnen besiedelten Gebieten. Dadurch entstanden viele altnordische Lehnwörter in anderen europäischen Sprachen.
Runenschrift und Literatur
Die Runenschrift war das früheste Schriftsystem für das Altnordische. Die ältesten Runeninschriften stammen aus dem 2. Jahrhundert und waren oft auf Steinen oder Holz geschnitzt. Diese Inschriften waren meist kurz und beschränkten sich auf Namen oder einfache Sätze.
Im 12. Jahrhundert begann man, das Altnordische mit dem lateinischen Alphabet zu schreiben. Dies führte zur Entstehung einer reichen Literatur, darunter die berühmten Isländersagas, Eddas und Skaldendichtung. Diese Werke geben uns einen tiefen Einblick in die Sprache, Kultur und das Leben der Menschen in dieser Zeit.
Vom Altnordischen zum Mittelnorwegischen
Im Laufe der Zeit entwickelte sich das Altnordische weiter und ging im 14. Jahrhundert in das Mittelnorwegische über. Diese Sprachstufe war geprägt von zahlreichen Veränderungen in der Grammatik und im Wortschatz. Ein wesentlicher Einfluss in dieser Zeit war die Christianisierung Norwegens, die im 11. Jahrhundert begann. Mit der Einführung des Christentums kamen viele lateinische Lehnwörter in die Sprache.
Die Pest, die Norwegen im 14. Jahrhundert heimsuchte, hatte ebenfalls einen erheblichen Einfluss auf die Sprache. Der Tod eines großen Teils der Bevölkerung führte zu sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen, die sich auch in der Sprache niederschlugen. Die Sprachgrenzen wurden durchlässiger, und es kam zu einer Vermischung verschiedener Dialekte.
Die Hanse und der Einfluss des Deutschen
Ein weiterer wichtiger Einfluss auf das Mittelnorwegische war die Hanse, ein mächtiges Handelsbündnis deutscher Kaufleute, das im 14. und 15. Jahrhundert großen Einfluss auf Norwegen ausübte. Viele deutsche Kaufleute ließen sich in den norwegischen Hafenstädten nieder und brachten ihre Sprache mit. Dies führte zu einer großen Anzahl deutscher Lehnwörter im Norwegischen, besonders im Bereich des Handels und der Verwaltung.
Die dänische Herrschaft und der Sprachwandel
Im Jahr 1380 ging Norwegen eine Union mit Dänemark ein, die bis 1814 dauerte. Diese lange Periode der dänischen Herrschaft hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die norwegische Sprache. Dänisch wurde die Amtssprache, und viele Norweger mussten Dänisch lernen, um in Verwaltung und Handel tätig zu sein. Dies führte dazu, dass das Norwegische stark vom Dänischen beeinflusst wurde.
Die Schriftsprache in Norwegen während dieser Zeit war im Wesentlichen Dänisch, obwohl die gesprochene Sprache weiterhin von den alten norwegischen Dialekten geprägt war. Diese Situation führte zu einer Sprachzweiteilung, die Norwegen bis heute prägt.
Die nationale Wiedergeburt und die Sprachdebatte
Mit der Auflösung der Union mit Dänemark im Jahr 1814 begann in Norwegen eine nationale Wiedergeburt. Es entstand ein starkes Bedürfnis nach einer eigenen nationalen Identität, die auch eine eigene Schriftsprache umfasste. Dies führte zu einer intensiven Sprachdebatte, die bis heute andauert.
Es entwickelten sich zwei Hauptströmungen in dieser Debatte: die eine, die für die Beibehaltung und Weiterentwicklung des dänisch-norwegischen Schriftsystems eintrat, und die andere, die eine Rückbesinnung auf die alten norwegischen Dialekte und eine eigenständige norwegische Schriftsprache forderte.
Ivar Aasen und Nynorsk
Eine zentrale Figur in dieser Debatte war Ivar Aasen, ein Sprachforscher und Dichter, der im 19. Jahrhundert lebte. Aasen reiste durch ganz Norwegen und sammelte Dialektproben, aus denen er eine neue Schriftsprache, das sogenannte Landsmål (später Nynorsk), entwickelte. Diese Sprache basierte auf den westnorwegischen Dialekten und sollte eine Alternative zum Dänisch-Norwegischen bieten.
Nynorsk wurde 1885 offiziell als gleichberechtigte Schriftsprache neben dem Riksmål (dem späteren Bokmål) anerkannt. Bis heute existieren in Norwegen diese beiden parallelen Schriftsysteme, wobei Bokmål häufiger verwendet wird, besonders in urbanen Gebieten, während Nynorsk in ländlichen Regionen und in der westlichen Landesteilen verbreiteter ist.
Bokmål
Bokmål, das aus dem Riksmål hervorging, ist die andere Hauptvariante der norwegischen Schriftsprache. Es basiert auf dem dänisch-norwegischen Schriftsystem, das während der dänischen Herrschaft entwickelt wurde. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde Bokmål mehrfach reformiert, um es dem gesprochenen Norwegisch anzunähern und die dänischen Einflüsse zu reduzieren.
Die erste große Reform fand 1907 statt, gefolgt von weiteren Reformen in den Jahren 1917, 1938 und 1959. Jede dieser Reformen zielte darauf ab, die Schriftsprache stärker an die gesprochene Sprache anzugleichen und die norwegischen Elemente zu betonen. Trotz dieser Bemühungen bleibt Bokmål in vielen Aspekten näher am Dänischen als Nynorsk.
Die moderne Sprachsituation in Norwegen
Heute ist Norwegen ein Land mit zwei offiziellen Schriftsystemen: Bokmål und Nynorsk. Beide Varianten werden in Schulen unterrichtet, und offizielle Dokumente müssen in beiden Sprachformen verfügbar sein. Die Wahl der Schriftsprache ist oft eine Frage der regionalen und persönlichen Präferenz.
In den städtischen Gebieten, insbesondere in Oslo, ist Bokmål die dominierende Schriftsprache. In ländlichen Regionen, vor allem in Westnorwegen, ist Nynorsk verbreiteter. Die norwegische Medienlandschaft spiegelt diese Zweiteilung wider, mit Zeitungen, Fernsehsendern und Verlagen, die entweder Bokmål oder Nynorsk verwenden.
Dialekte und ihre Bedeutung
Ein besonderes Merkmal der norwegischen Sprachlandschaft ist die große Vielfalt an Dialekten. Trotz der Existenz der beiden Schriftsysteme sind die gesprochenen Dialekte in Norwegen sehr lebendig und spielen eine wichtige Rolle im täglichen Leben. Viele Norweger sprechen in ihrem Heimatdialekt und wechseln nur in formelleren Situationen zu einer der beiden Schriftsprache.
Die norwegischen Dialekte sind oft sehr unterschiedlich, und es kann vorkommen, dass sich Sprecher aus verschiedenen Landesteilen schwer verstehen. Dennoch wird der Dialekt in Norwegen oft als wichtiger Teil der Identität angesehen und gepflegt.
Ein Blick in die Zukunft
Die Zukunft der norwegischen Sprache wird weiterhin von der Koexistenz von Bokmål und Nynorsk geprägt sein. Es gibt Bestrebungen, die beiden Schriftsysteme näher aneinander zu bringen, aber auch starke Kräfte, die ihre Eigenständigkeit betonen. Die fortschreitende Digitalisierung und Globalisierung stellen zusätzliche Herausforderungen dar, da englische Einflüsse immer stärker werden.
Fazit
Die Geschichte der norwegischen Sprache ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie kulturelle, politische und soziale Veränderungen die Entwicklung einer Sprache beeinflussen können. Von den altnordischen Wurzeln über die dänische Herrschaft bis hin zur modernen Zweiteilung in Bokmål und Nynorsk spiegelt sich in der Sprache die bewegte Geschichte Norwegens wider. Die Vielfalt der Dialekte und die lebendige Sprachkultur machen das Norwegische zu einer einzigartigen Sprache, die auch in Zukunft eine wichtige Rolle in der norwegischen Identität spielen wird.